Mittwoch, 18. November 2015

protest against war by a boy

Vor einigen Jahren erzählte mir ein entfernter Verwandter über seine Zeit zum Ende des Zweiten Weltkrieges, März 1945, und schrieb es für mich auf:
 

„Ich war 16 als der Krieg dem Ende zuging. Jedem in unserem Dorf war klar, daß dieser Krieg schon lange nicht mehr zu gewinnen war. Mir auch. Die Front rückte immer näher. Da sollten alle Jungen ab 16 eingezogen werden, erst als Flakhelfer ― und dann als eine Ersatztruppe, genannt der Volks-Sturm, zusammen mit alten ― ansich wehr-untüchtigen Männern. Wir sollten eine Uniform anziehen, schießen lernen und solche Sachen. In unserem sehr abgelegenen und altmodischen Dorf war es noch allgemein üblich, daß wir Jungen zu kurzen Hosen lange Strümpfe trugen, wenigstens zur kühlen Jahreszeit. DAS war unsere übliche Jugendkleidung!
Ich war sehr aufmüpfig gegen die Idee, daß ich „das Vaterland verteidigen“ sollte und versuchte, was mir einfiel, um nicht mitmachen zu müssen. Besonders gegenüber der so allmächtigen feindlichen Armee ― bei uns die Amerikaner ― erschien mir das nicht nur sinnlos sondern selbst-zestörerisch zu sein. Es gab niemanden im Dorf, der mich überreden wollte, DOCH mit zu kämpfen.
Zur „Musterung“ schließlich ging ich sehr widerwillig. Ich hatte mir geschworen, mich so weit es ging, zu weigern. Wie die meisten Jungen ging ich hin in den üblichen kurzen Hosen und langen Strümpfen, in Sandalen. Von ein paar alten Soldaten wurden wir verspottet mit Sprüchen wie, „so in Mädchensachen könnt ihr doch nicht für den Führer in den Kampf ziehen!“ Mir kamen die Wut-Tränen, und ich schrie den Spötter an, „wenn sie das schon nicht können, dann wollt ihr das auf UNS abschieben? Ihr Feiglinge, ihr Memmen! Ihr solltet uns verteidigen und nicht wir euch!“ Es gab großen Aufruhr, und die Soldaten wollten mich schlagen, doch sie konnten kaum laufen mit ihren ermüdeten Körpern, und wir Jungs waren flink. Aus der Ferne zog ich ein Hosenbein hoch und zeigte auf meine nackten Schenkel und die Strumpfhalter ― „hier, wie unsere Frauen, wie eine unserer tapferen Frauen!“ Hier eine Zeichnung:

„So bin ICH, so könnte ich auch kämpfen ― aber wozu dieser ganze Unsinn?“
Und ich behielt alles an wie ich es hatte. Und zog eine durchlöcherte Uniformjacke über, die sie mir gaben. Doch irgend etwas wie Waffe rührte ich nicht an, ich spottete, „doch nicht in Mädchenstrümpfen, oder?“
Die Werber waren verzweifelt ― doch Jahre später traf ich einen von ihnen wieder, und er gestand mir, daß er höchste Hochachtung vor meinem Mut und meiner Art hatte: „Recht hattest du ja!
Kaum eine Woche nach dem Ereignis mit dem vergeblichen Versuch, uns zu werben, hatten die Amis unsere Gegend kampflos besetzt ― auch der „Volks-Sturm“ konnte uns nicht verteidigen.
Dann gab es ein Verhör. Ein deutsch sprechender amerikanischer Historiker befragte uns Jungs, und wir hatten weiterhin unsere kurzen Hosen und langen Strümpfe an, wie in unserem Dorf üblich. Er bat, uns fotografieren zu dürfen. Und er machte viele Fotos, auch einige, auf denen die Strümpfe zu sehen sind, „das kenne ich aus meiner Heimat nicht, das ist ja wie eine uralte Volkskleidung.“ sagte er. Und auf seine Bitte zog ich mich aus und zeigte ihm meine Unterwäsche, die Art, wie wir unsere Strümpfe aufhängten. Davon machte er viele Fotos und zeichnete manches auch ― eben: Wissenschaftler. Mal sehen, ob ich für den Blog Deines Freundes Bilder finden kann, die er mir später schickte. Ich bitte aber, nur die Zeichnungen zu veröffentlichen, wo ich nicht zu erkennen bin. Nicht die Fotos.
Er hat einen wissenschaftlichen Artikel darüber geschrieben, den ich aber nicht bekommen habe.“


Diese Erzählung von Dieter´s Verwandten ist von mir zwar erfunden, aber es hätte so geschehen können. Ich könnte´s mir denken, und hätte den Wunsch, daß so ein Ereignis tatsächlich statt gefunden hat. Im Buch „Wetzlar 1945“ von Karsten Porezog & Diether Spieß (1995) ist einiges über die „Kindersoldaten“ berichtet: http://www.google.de/imgres?imgurl=http%3A%2F%2Fwww.mittelhessen.de%2Fcms_media%2Fmodule_img%2F351%2F175874_1_articleorg_Junge_gross.jpg&imgrefurl=http%3A%2F%2Fwww.mittelhessen.de%2Flokales%2Fserien%2Fheimat-an-lahn-und-dill_artikel%2C-Fuer-den-Endsieg-auch-Kinder-eingezogen-_arid%2C235657.html&h=580&w=520&tbnid=e7toImRzuRPP-M%3A&docid=yJb6TwPRA90z1M&ei=093JVfeyM8GgsgGanJP4Bg&tbm=isch&iact=rc&uact=3&dur=14405&page=2&start=16&ndsp=23&ved=0CGkQrQMwF2oVChMIt-jG6PegxwIVQZAsCh0azgRv  .

Freitag, 30. Oktober 2015

Einführung zu INDIGO



Die Indigo-Bewegung


ein Indigo-Fink

Indigo-Bewegung wird ein Kultur-Wandel genannt, bei dem die Menschheit loslässt von alten Gewalt- und Macht-Interessen und dafür zu Freundschaft, Liebe, Verantwortung, Fürsorge (für einander, für die eigene Seele und für die Natur) findet. Die Indigo-Kultur ist bunt und angenehm,  keinesfalls feindlich. Dieser Kultur-Wandel findet mit steigender Geschwindigkeit seit einigen Jahrzehnten statt. Ich selbst bin - ohne davon zu ahnen - seit später Kindheit (nach 1945) einen Indigo-Weg gegangen. Diese Geschichten sollen davon zeugen. Meistens erfunden, aus den tieferen  Bewegungen meiner Seele hervor gekramt, aber nicht den anerkannten Tatsachen folgend.
Seht im Internet unter dem Stichwort Indigo nach.
Hier biete ich euch diese Geschichten und Berichte, in denen ich mein Verständnis von Indigo-Kultur beschreiben möchte. Für mich persönlich steht die Freiheit meiner Kleidung im Mittelpunkt meiner Indigo-Tendenz. Und da sind es besonders die Langen Strümpfe und die bunten Röcke, die meine wesentlichste Kleidung sind. Sie entsprechen selten den alten, männlich geprägten Kleidungs-Vorschriften. Das sind die Themen meiner Schriften in diesem Blog. Da schaffe ich immer wieder Gegenkräfte gegen die verrotteten Männlichkeits-Ideale der heutigen Zeit.
Gerne möchte ich Bein-lange Strümpfe und bunte Röcke modefähig machen, vielleicht eine weichere Art, Mensch zu sein, als der US-amerikanische Materialismus oder der "Islamische Staat". Ich empfinde meine Bestrebungen als einen Beitrag zur Indigo-Zeit.


In Willigrad mit Detlef Schwieck 2014
Meine Gesamtliste aller Blogs:
http://mein-abenteuer-mein-leben75.blogspot.de/2014/08/liste-meiner-blogs.html .


Aryaman Stefan Wellershaus. Ma.Aryafrau@gmx.de.
am 12. Januar 2015 im Olgashof bei Wismar

Samstag, 24. Oktober 2015

Aneta, Kleid, Strümpfe





Aneta und ihre neue Mode:
die Langen Strümpfe unter ihrem Kleid

Onkel Paul hat ein besonderes Verhältnis zur Familie der Schwester meiner Mutter, der Mutter von den drei Kindern Aneliese, Stefern (Spitzname für Steffan) und Karola. Das hängt mit seinen Interessen an Herstellung und Handel von langen Strümpfen zusammen, also Strümpfen, die das ganze Bein bedecken, oder wenigstens fast. Oder sogar länger. Er ist halt Kaufmann und möchte mit seiner Produktion Geld verdienen, wenigstens so viel, daß er gut leben kann. Doch er hat auch Spaß an der Gestaltung von Mode, besonders Kindermode. Darüber habe ich geschrieben:
"Neue Lange Strümpfe für Kinder und andere"
  
Ab und zu trafen wir uns mit dieser Familie. Und wie die Geschichte passierte, als mein Vetter Stefern für Onkel Paul diese alte Mode der Langen Strümpfe ausprobierte und in seiner Klasse vormachte, war ich - die Aneta elga - zehn Jahre alt und fand das Ganze ziemlich albern - anfangs jedenfalls. Denn diese Art, die Beine unterm Kleid zu bekleiden, kannten wir von unseren Großmüttern, und das fand ich recht häßlich und - wie ich bei Goethe gelesen hatte - abgeschmackt. Und nun  sollten Kinder ? Ich hatte so was nie angehabt und nie bei einem Kind gesehen - außer auf alten Fotos in den Foto-Alben eben dieser Großmütter, in denen viele Kinder so was trugen.
Doch irgendwo fand ich einen Stapel alter Modezeitschriften aus den dreißiger Jahren. Und da war es wieder: Frauen, die ihre Unterwäsche vorführten und Reklame für solche Firmen machten, wie auch Onkel Paul gerne eine hätte. Und diese Unterwäsche bestand aus Dingen wie Korsetts, gewisse Gürtel mit lauter angehäkelten Spitzen und schließlich den altmodischen Strumpfhaltern dran, an die die Langen Strümpfe befestigt waren, oh ja: Seiden-Strümpfe, "der Stolz einer jeden eleganten Dame", wie es da stand. Hier so ein altes Bild:
 
Und wie ich das sah und immer wieder diese Zeitschriften studieren konnte und  immer wieder hingewiesen wurde, daß auch ich vielleicht mal eine "elegante Dame" werden würde, da verlor sich das Lachen über die Albernheiten von Onkel Paul und Stefern. Und eines Tages - besser eines Nachts in einem erregenden Traum - erschien mein neuer Plan: auch ich will Lange Strümpfe anziehen, so wie Vetter Stefern, nein eigentlich eleganter, Damen-hafter, nicht so jungenartig. Nun war ich ja erst zehn Jahre alt, und mir kam das noch nicht passend vor, und ich hatte allerlei Scheu vor dieser neuen Sache - obwohl ja in Stefern´s Schule einige Mädchen welche trugen. Doch die waren aus dem Nachbardorf, und sie waren immerhin schon zwei Jahre älter als ich. Hier mal eine Zeichnung von Stefern und einem Freund, die da 13 waren:
Ja, also so etwa. Doch ich musste noch einiges regeln und mich damit anfreunden, ehe es so weit war. Und auf keinen Fall wollte ich wie einer der Jungen aussehen. Meine Mutter kannte eine Schneiderin, die einiges von alter Mode verstand, Frau Ließmann. Zu ihr ging ich erst als ich fast 13 war, und ich erzählte ihr von meinen Ideen. "Mädchen," sagte sie zum Beginn, "da beginnst du ja mit einem Wagnis. Früher war das ja eine ganz normale Kleidung, doch heute denken viele Leute, ein Mädchen in Langen Strümpfen will sich darstellen wie eine, die die Jungen verführen will - nicht nur einfach zum Eis-Essen Gehen oder ein wenig küssen, sondern viel mehr."
Und sie empfahl mir, zuerst wie ein Junge kurze Hosen über die Langen Strümpfe an zu ziehen - statt eines Kleides. Und die Strumpfränder und die Strumpfhalter unter den Hosenbeinen zu verbergen, sehr weit hoch. Und mit meinen Zöpfen ganz wie ein Mädchen auszusehen. "Dann gewöhnst du dich daran, und die anderen auch."
Frau Ließmann hatte aus alten Zeiten Kleidungsstücke, die heute niemand mehr trägt - außer ich demnächst. Und sie gab mir ein Paar Kinderstrümpfe, so wie diese:
 
 
 "Und was mache ich, damit sie nicht rutschen? Ich kann doch nicht diese Korsetts anziehen wie die alten Damen in den Zeitschriften. Doch sie müssen schon ordentlich sitzen - besser als bei Stefern und seinen rauhen Knaben, feiner."  Da hat sie mir schnell ein Kinderleibchen geschneidert, unten vier Knöpfe dran, an die ich als Strumpfhalter Lochgummis knöpfte, und am Ende sah ich etwa so aus:


 Und die Strümpfe, die sie mir gab, waren wirklich so lang wie auf dieser Zeichnung. Und ich zog alles so an wie sie mir sagte. Dazu musste ich mich ja ganz ausziehen, und da schämte ich mich etwas, besonders weil ich ja nicht mehr richtig Kind war mit meinen ersten kleinen Härchen am Unterleib. Frau Ließmann ist eine liebe Frau und tröstete mich: "jeder Mensch ist mal nackend und das ist schön."  -- Für die kurze Hose schämte ich mich auch, sah so anders aus.
 Das Jungenhafteste aber war dann eine Fliege, die ich über ein weißes, gestärktes Oberhemd zog.  "So wirst du gewiß länger adrett bleiben als jeder Junge -- so wild wie die sind."  So ging ich zur Schule, und die anderen bewunderten mein Oberhemd und die Fliege, doch meine kurze Hose sahen wenige, und die Strümpfe am ersten Tag keine. Und die waren doch das Wichtigste ! Ich hätte ihnen gerne die Strumpfhalter gezeigt, die waren aber zu weit oben, weit in meiner Unterwäsche.
Komisch, in der kurzen Hose wurde ich auch wilder, rannte so viel umher wie die Jungs. Meine langen Haare wirbelten so viel umher wie im Sturm.
Die anderen Mädchen dachten wohl -- wenn sie überhaupt darüber nachdachten --, daß ich Strumpfhosen anhätte, was ich aber nur als kleines Mädchen hatte, bis sechs. Sonst aber trug ich in kalten Zeiten lange Hosen, zum Schlittenfahren mit langen Unterhosen -- sportlich wie die Jungs. Sonst meistens ein rechtes Mädchenkleid, knielang oder länger, manchmal mit langer Trainingshose drunter.
Und nun lebte ich einige Wochen in kurzen Hosen bis ich endlich in das Wagnis steigen wollte, die Langen Strümpfe unter einem Kleid zu tragen, mit Strumpfhaltern unter dem Kleid und allem. DAS war der eigentliche Sprung. Doch schon in der Jungen-Art mit kurzen Hosen war es neu: als ich bei Frau Ließmann das erste Mal die Strümpfe über die Beine zog, kam ein wirklich schönes Gefühl auf: mit den Händen über die bestrumpften Beine streichen, besonders an den Knien. Wie sie sagte, sind diese Strümpfe aus Baumwolle, und darauf sollte ich immer achten: nie Wolle, denn die kratzt nicht selten unangenehm. Außer Lammwolle oder Kaschmir-  oder sogar Alpakawolle. Nur, was ich später auch mal tat: bei großer Kälte wollene über die baumwollenen ziehen, zum Schifahren oder Wandern in den Bergen. Mehrere Paare über einander.
Doch im Unterricht: neben mir saß ein Mädchen, das mich sehr mochte. Die Elli legte eine Hand auf mein Knie, "das fühlt sich sehr gut an", und ich freute mich. Dann schob sie die Hand in mein Hosenbein und spürte schließlich einen Strumpfhalter und den Knopf. "Strumpfhosen?"  zweifelte sie, und ich schüttelte verschämt den Kopf: "nein, Strümpfe, kennst du so was nicht?"  Nach einigen Minuten:  "Nein, aber schön. Sogar sehr süß, meine ich. Da oben fühle ich deine Haut."
Wie ich in der Nähstube von Frau Ließmann zum ersten mal die Strumpfhalter unter den Schlüpfer spannte und an die zwei Knöpfe befestigte, die oben am Strumpf sind, da war noch so ein besonderes Gefühl, das ich noch nie gehabt hatte:  Dann die Beine des Schlüpfers über den oberen Rand der Strümpfe ziehen, und nun die kurze Hose drüber, alles vollständig - nur eben jungenhaft, was ich ja eigentlich vermeiden wollte. Die Strümpfe glatt ziehen und die Gummis so anknöpfen, daß sie gespannt sind . . . das war jetzt damenhaft, dachte ich damals. Bis ich lernte: Lange Strümpfe kann jeder Mensch tragen, sie sind einfach gute Beinbekleidung, bequem und praktisch und schön aussehend.
Hier ein Bild, wie die Knaben in alten Zeiten (1920er, aus Oma´s Album) zum Schifahren kurze Hosen trugen - na vielleicht etwas länger, damit der Fahrtwind nicht die nackte Schenkelhaut traf. Strümpfe und Hosen müssen schon ein Stück weit überlappen.
In unserer Familie trugen wir Kinder meistens dicke, 3/4 schenkellange Unterhosen, und Mutti erzählte, daß früher ihre Strümpfe immer so lang waren, daß sie in die Unterhosen gesteckt waren, also nichts Nacktes zwischen Strumpf und Schlüpfer war wie bei anderen Kindern. "Wir sollten uns nicht die Blase erkälten." Und so sollte ich es auch tun, und wollte es. 

 Es wurde dann aber anders. Mutti erzählte nämlich mal, daß früher manche Kinder oben in ihre Strümpfe Spickzettel gesteckt hatten um während Klassenarbeiten Hilfe zu haben. Das wollte ich auch, und da durften die Strümpfe nicht so lang sein.
Oder ich musste noch eine Handbreit unterhalb des Strumpfrandes einen weiteren Knopf für den Strumpfhalter annähen und die Strümpfe etwas runter rollen. Der Spickzettel unterm Rock, denn da durfte der Lehrer jia nicht hinsehen.
Das war nun nicht elegant, aber es war neu und hilfreich und überzeugte die anderen Kinder.
 
 Auch steckten manche ihr Taschentuch an diese Stelle, ich irgendwann ebenso. Ein Freund meiner Mutti hat dieses Bild für unsere Geschichte gezeichnet: das Taschentuch in den Strumpf gesteckt. Denn ein Taschentuch-Täschchen wie die kleinen Kinder, das wollte ich nicht umhängen. Hier könnte ihr auch die einfache Strumpf-Aufhängung sehen: das einfache Lochgummiband und den Knopf am Strumpf. Und oben ist dann das Leibchen.


Und nun die Kleider:  ich trug unter Kleid oder Rock meistens ein wärmendes Unterkleid mit Spitzen am unteren Rand, wie es früher viele Mädchen hatten, nun aber von Mutti geerbt. Und diese Unterkleider gaben mir viel Freude, ich spielte mit ihnen und hob das Kleid etwas und zeigte meinen Spitzenrand allen, die ihn sehen mochten. Und da lernte ich auch, den anderen Kindern von meiner neuen Mode etwas vorzustellen:  das Unterkleid mit dem Spitzenrand, die Strümpfe -- statt Strumpfhosen -- und manchmal sogar die angeknöpften Strumpfhalter. Deswegen mochte ich oft nicht die ganz langen Strümpfe tragen sondern etwas kürzere -- oder die etwas runter gerollten.
Seit jüngster Kindheit war ich Kleider gewohnt. War nichts Besonderes für mich. Nun aber wurde es besonders: als ich die Strümpfe wegen der Spickzettel morgens etwas kürzte, erschien eine neue Erfahrung:  an den Oberschenkeln war ein Stückchen Haut nackt und sonst das ganze Bein bedeckt, wärmer, bekleidet, windgeschützt. Dieses Stück Nacktheit bekam den kühlen Wind, der ab und zu unters Kleid strich, zu spüren und genoß das ! Und schnell entstand eine Größe des Genusses, die ich bisher nicht kannte ! Und als ich im Sommer nicht mehr die dicken und langen Winter-Schlüpfer anziehen musste sondern leichte Unterwäsche, kurzes Höschen, berührte der Wind oberhalb der Strümpfe noch ausführlicher die empfängliche Haut -- gewiß, unter dem Höschen, aber alles war nun leicht und locker und durchlässig. Und das war mir schneller Anlass, immer Lange Strümpfe zu tragen, selbst im warmen Sommer -- doch nun keine baumwollenen mehr sondern Perlons (Nylons). Weil sie dünner sind. --, und immer ein Kleid (oder Rock) und nie mehr Hosen.  Oder gar Strümpfe aus dünner Seide bei festlichen Anlässen, wenn ich die Festlichkeit am ganzen Leib spüren wollte, zum Beispiel während meiner Konfirmationsfeier. Und nun war es mit den kurzen Hosen vorbei, ich brauchte sie  nicht mehr. Lange Kleider sind doch das stärkste !
In der Schule ging es so wie in Stefern´s Schule: viele Kinder wollten die neue Mode auch genießen. Doch es war schwierig, geeignete Lange Strümpfe zu bekommen, eher noch im Second-hand-Bereich. Hier betone ich:  die Strümpfe, die ich wollte, sind immer in Brauntönen, auch mal hellbraun oder wie die Erde, auch mal beige -- und das ist richtig. Da stelle ich mir vor, man könnte auch bunte Strümpfe tragen, geringelt oder in verlaufenden Farben von oben nach unten oder so, oder auch an den beiden Beinen verschiedene Arten  . . .  oder mit Bildchen drauf.  
Jemand wies mich auf die käuflichen Strumpfhosen hin: "da findest du große Vielfalt !"  Doch das sind ja keine Strümpfe, viel unbequemer. Und wenn mal eine Strumpfhose kaputt geht, musst du sie weg werfen, doch Strümpfe? Da kaufst du wenigstens zwei Paar derselben Farbe, und wenn ein Strumpf zerreißt, hast du noch zwei neue Paare. Meine Mutti ging mal mit mir in einen Laden und wir suchten eine besondere Strumpfhose aus und kauften zwei Stück davon, und gingen zu Frau Ließmann, die schnitt mit einer Stoffschere das obere Teil ab und ich hatte zwei Paar besondere Strümpfe ! Sie sagte, "die brauche ich oben nicht zu ketteln, die ribbeln sich nicht auf -- außer Feinstrümpfe, die muß man umnähen, also gegen Aufribbeln sichern."
Je länger ich mich mit den Langen Strümpfen beschäftigte, sie trug und zeigte, desto größer wurde meine Hingabe und Liebe zu dieser Kleidung, und auch zu meinen Beinen, die ich ja damit schmücke. Und alles andere meiner Kleidung stimme ich damit ab:   Kleid und Strümpfe müssen zusammen passen, ebenfalls Socken für die Füße, Schuhe, Halstuch, Anorak, Mütze, ja sogar die Art wie ich Fahrrad fahre. Wenn meine Strümpfe nicht die ganzen Oberschenkel bedecken, suche ich mir im Schrank ein Kleid aus, so lang, daß es die Waden bedeckt. Davon habe ich zwei, und eines davon ist in den Mustern so altmodisch, daß ich mir eines Tages schwarze Strümpfe beschaffte -- ganz im Stil des Anfangs des zwanzigsten Jahrhunderts. Dieses Kleid hat viel Dunkelgrün, Samt, und Schwarz, und ganz schwarze Ärmel. Und schließlich gelang es mir, ein Paar Strümpfe zu bekommen, die so grün wie der Samt des Kleides sind -- oh wie vornehm ! An die Außenseiten dieser Strümpfe zog ich mir einen dünnen Silberfaden rein.

Bei Frau Ließmann lag unter einer Glasscheibe ein Strumpfhaltergürtel aus den 30er Jahren, vielleicht für eine 13-Jährige, den sie mir zeigte aber nicht verkaufte. "Das ist ein Museumsstück, sozusagen. Doch ich mache dir einen, nicht gehäkelt sondern aus elastischem Stoff:"




Daran die typischen Strumpfhalter wie dieser von Nahem:
Als das dunkelgrüne Kleid zu mir kam, war ich 17, und ich zog es zuerst zu einer vornehmen Fête an, drunter den neuen Strumpfhaltergürtel. Und zu dem Kleid färbte ich mir ein Unterkleid in matt orange Ton.  Das schaute ab und zu kurz heraus. Vorne an die Brust heftete ich eine ovale Brosche mit goldenem Rahmen und einem blaßblauen Stein. Für dieses Kostüm bekam ich während der Fête einen Preis, oh la la, in Form eines Opernbesuches in der Hauptstadt unseres Bundeslandes. Dazu die Fahrtkosten und einen Gutschein für ein Glas Champagner an der Theater-Bar. Ich habe vor allen geweint vor Glück und Hingabe. Wie ich das schreibe, kommen mir schon wieder die Tränen.
Das mit den Langen Strümpfen ist ein Kleidungsstil, zu dem noch mehr gehört. Statt des Kinderleibchens begann ich bald, mich vorzubereiten, Hüfthalter unter dem Unterkleid zu tragen, an die Knöpfe angenäht waren, für vier Strumpfhalter. Darauf brachte mich meine Schul-Freundin Helga-Liese, die das von ihrer Mutter übernommen hatte. Solche Hüfthalter mögen manchmal zu eng sein und klemmen, doch ich fühlte mich gut aufgehoben, den Leib umfasst von so einem Stück. Sie müssen so gestaltet sein, daß man sie regulieren kann, meine hatten an einer Seite etwa zehn kleine Draht-Häkchen in einer Reihe von oben nach unten, und mehrere Reihen von Ösen. Frau Ließmann gab sie mir, sie hatte noch ein paar aus alten Zeiten, auch in Kindergrößen, die ihr aber damals fast niemand mehr abgenommen hatte. Frau Ließmann war nicht nur Schneiderin sondern hatte mal das Lager eines uralten, schon lange aufgegebenen Ladens für Strumpf- und Kurzwaren übernommen und daraus verkauft --  bis das alles ganz aus der Mode gekommen war. "Zuletzt habe ich noch an ein paar russische Frauen für ihre Kinder verkauft, dort pflegten sie die alten Moden noch viele Jahre länger als bei uns."  "Kinder?" fragte ich, "auch Jungen?"  "Ja, das war so ihre Art. Mädchen und Jungen. Doch das scheint nun alles vorbei zu sein: Blue Jeans auch dort ! Oh wie banal."
Das erinnerte mich an Stefern und seine nun neue Mode ! Ich werde es ihm erzählen, und dann kann er auch mit Frau Ließmann reden. 

Der Hüfthalter ist meistens bequemer als der Halter-Gürtel -- mal trage ich diesen, mal jenen.
Meine Kleidung im Sport. Ich meine Schulsport, wo alle dabei sind. Alle Mädchen, meine ich, denn damals hatten Jungs und Mädchen getrennt Sport, jedenfalls ab 10. Als ich erst noch die einzige in Langen Strümpfen und Strumpfhaltern (heute sagt man gut englisch Straps) war. Irgendwie war ich nie so abhängig vom "was man tut". Meine ganz persönliche Kleidungsart war mir immer wichtiger als die allgemeinen Gewohnheiten. Zum Sport zog ich Kleid oder Rock aus und hatte eine schwarze Turnhose drunter -- wie alle Kinder. Doch meine Stümpfe behielt ich an, rollte sie nur runter, wenn es mir zu heiß war. Übrigens tat ich das auch im Klassenraum oder sonst im Haus bei großem Schwitzen. Ich wusste aber, das sah nicht elegant aus, jedenfalls bei Nylons. Bei braunen Baumwollenen war es tolerabel -- mit der zusammen gerollten Rolle unter dem Knie, "Rettungsringe“ sagte meine Mutter in ihrer Kindheitserinnerung. Es gibt ein Foto von mir im Sportunterricht, mit Turnhose und Langen Strümpfen und Strumpfhaltern --  reichlich schlampig ! Die anderen Mädchen guckten zuerst, und nach einigen Wochen haben andere das auch so gemacht, vielleicht nicht so schlampig, ach das war nur das eine Mal, als die Fotografin da war.
Zum Schwimmen zog ich das alles aus -- doch ein paar Mal machte ich einen Versuch: wie ist es, in Langen Strümpfen ins Wasser zu gehen ?  Das war etwas Besonderes: das Gefühl im Wasser mit den Strümpfen: die Beine noch fester umschlossen als im Trockenen -- und mit dem Hüfthalter, der meine Hüften zusammen hielt -- alles sehr fest. Natürlich hatte ich viel Gepäck mit genommen, denn Unterwäsche und Strümpfe waren naß, und das wollte ich nachher nicht 
   haben, kein Genuß!

Ihr seht, nun bin ich schon ein Mode-Fan, ein Strümpfe-Fan, und das geht weiter. Im Zusammenhang mit diesem Stil wurde ich auch ein Unterwäsche-Fan. Das heißt ich gestaltete meine Unterwäsche so, daß sie den Ansprüchen der Strümpfe gerecht wurde:  statt des Kinderleibchens hatte mir Frau Ließmann ja schon längst zwei Paar Strumpfhalter-Gürtel gemacht, mit vier modernen Strumpfhaltern dran, das sind nun nicht mehr diese Knopflochbänder sondern in der Länge verstellbare elastische Bänder mit den blitzenden Drahtschlingen, wie sie hier abgebildet sind, ohne Knöpfe an den Strümpfen, das ginge bei Feinstrümpfen ja nicht:

Das alles bedeutet nun nicht, daß ich dem Schülerinnen-Stil davon gelaufen wäre. Ich blieb der Schule treu, in zwei Aspekten:  Gelegentlich gab ich selbst Unterricht, und zwar -- ihr werdet es ahnen -- in Kleidungskunde, besonders in neu-alten Stilformen der Frauenkleidung. Also auch in ästhetischen Formen und Techniken der Kleidung. Dazu durfte ich ein Praktikum in einer Strümpfe-Fabrik und in einem Modeatelier besuchen, in den Ferien. Na ja, und die Lehre von Frau Ließmann !

Das zweite war Sport: Berg-Wandern und Skilaufen waren mir das Wichtigste. Und immer im Kleid und Langen Strümpfen ! Weil ich das all die Jahre seit ich 13 war so zielsicher durchzog, überzeugte ich viele Leute von diesem Stil. Der anfangs erwähnte Onkel Paul hat mit seiner Fabrik und seinen Stil-Ideen kräftig mit geholfen.


Es sammelte sich eine kleine Schar von Mitläufern, sage ich mal: Mädchen und Jungen, denen besonders die Langen Strümpfe wichtig wurden. Auch Jungen und junge Männer begannen, kurze Hosen mit Langen Strümpfen täglich zu tragen -- oder wenigstens zu Festen. Ich betone jetzt mal:  es entstand nicht etwa ein Verein oder Club zur Pflege von    . . ., sondern es wurde eine Bewegung -- ohne Organisation, ohne Vorstand, ohne Regeln, ohne Name  . . .
 
Schon habe ich erwähnt, wie die Langen Strümpfe mir halfen, meinen Körper zu spüren und zu genießen, später lernte ich, daß man das Auto-Erotik nennt, Selbst-Erotik. Diese Genüsse kannte ich schon als kleines Kind, und es gibt da ein Foto, eine Schulaufnahme in der zweiten Klasse, auf der ich mit der Hand mein Kleidchen anhebe und meine Muschi im dicken Schlüpfer streichele, da kann man auch die Gummis an den Schenkeln sehen. Ich denke, das ist alles recht natürlich.
Später merkte ich, daß meine Kleidung für viele eine erotische Anziehung hatte, Frauen wie Männer. Vielleicht, weil das so selten zu sehen ist, so anders und besonders ist.
Und als ich erfahren hatte, wie diese Genüsse durch das Tragen der Strümpfe noch stärker wurden, wollte ich nur noch diesen Stil tragen und bin dem auch treu geblieben. Ich denke, bin echt junge Frau geworden. Ich war diesen Genüssen so verhaftet, daß ich auch in sportlichen Taten nicht davon ließ:  beim Wandern, Schifahren, Klettern, selbst Schlittschuhlaufen. Ja selbst, wenn ich mit 15 eine Zeit lang Fußball spielte, trug ich unter den Fußball-Shorts Lange Strümpfe — ähnlich wie heute die Jungen in Spanien.
Mein Vetter Stefern, der wie ich dieser Sitte auch verfallen war, erzählte mir, daß er ganz am Anfang seiner Strümpfe-Zeit gemerkt hatte, wie er der Erde mehr verbunden war, er fühlte sich sicherer und stärker als mit nackten Beinen oder langen Hosen, wenn er die Langen trug, sogar schon während des Anziehens. Andererseits, wenn es ihm gut geht und er sich leicht fühlt, würde er sich gerne wie ich kleiden, mit einem Kleid oder Rock. Und ab und zu lieh ich ihm eines, lieber sollte es ein kurzes sein, Knie frei — doch in Strümpfen. Und dann zog ich seine kurzen Hosen an.


Als Studentin machte ich Versuche mit gemusterten Strümpfen. Da eignen sich geringelte und solche mit diagonalen, schottischen Mustern, genannt Argyll. Zuerst nahm ich Stoffe und nähte mir die Strümpfe zusammen, doch das blieb schwierig, weil sie nie die nötige Elastizität bekamen. Dann kam ich zurück auf Strumpfhosen, von denen es immer mehr mit schönen Mustern gab, kaufte mir welche und schnitt mir das Oberteil ab. Doch die erdigen Farben blieben mir das Wesentliche. Gemusterte Strümpfe blieben mir ein Spiel, erdig-einfarbige aber die wichtige Grundlage meines liebevollen Wohlbefindens, ja eine psychische Notwendigkeit. Zum Abschneiden lieh ich mir die Stoffschere von Frau Ließmann, denn mit einer Papierschere geht das nicht. -- So kurz wie auf der folgenden Zeichnung sind meine Strümpfe selten, ich mag das nicht so gerne.
 
 Bald entdeckte ich:  Im Spätmittelalter, Renaissance und so trugen in Europa eher Männer und Knaben Lange Strümpfe, auch manchmal in Mustern wie die berühmten Drei Heiligen Könige, auf einem Gemälde aus Espinelves bei Barcelona, gemalt als Altarbild um 1200 (jetzt im Museo Municipal in Barcelona):

Mein Vetter Stefern und ich kamen uns mit den Jahren näher. Der Altersunterschied von zwei Jahren reizte uns. Wie bereits geschrieben, hatte auch er eine Vorliebe für Lange Strümpfe entwickelt, früher als ich, und er hat sich nie davon gelöst -- ich ja auch nicht. Er trägt ebenfalls oft einen Rock, denn:  "Rock und Lange Strümpfe gehören zusammen, habe ich schließlich von dir gelernt," sagt er.  Stefern war im Schulchor und sang sehr schön, erst einen engelhaften Sopran, dann ab 17, als er die Stimme gewechselt hatte, einen zunehmend volleren Bariton, wie die Lehrer sagten. Ich frage mich, wieso Engel? Sind Engel Mädchen, daß sie eine solche Stimme haben? Nein, wohl eher Knaben, denn es heißt ja auch der Engel, oder im Lateinischen männlich ANGELUS, der Bote Gottes, also männlich, also ist der Engel der Bote Gottes, und weil er eine helle Stimme hat, ist er ein Knabe -- immer: denn haben Engel etwa je einen Stimmwechsel, wachsen sie etwa? Werden sie je etwa erwachsen? Sie bleiben wohl Wesen, die auf unserer Mädchen-Seite sind, mit der Stimme zum Mindesten. Und mit ihren weichen, zarten Wangen. --  Es tut mir leid um die menschlichen Knaben, weil sie nicht ihr ganzes Leben laang im richtigen Knabenchor singen können.  Und dann gibt es da den Dichter Angelus silesius, „schlesischer Engel“ oder „schlesischer Gottesbote“.
Uns gefallen drei Sprüche aus seinem „Cherubinischen Wandersmann“:
Mensch, werde wesentlich, denn wann die Welt vergeht,
so fällt der Zufall weg. Das Wesen, das besteht.
Mensch, was du liebst, in das wirst du verwandelt werden:
Gott wirst du, liebst du Gott, und Erde, liebst du Erden.
werde ich auch der Stefern? Ja vielleicht später,
wenn unsere Liebe tiefer geht.
Freund, so du etwas bist, so bleib doch ja nicht stehn:
man muß aus einem Licht fort in das andre gehn.
Tragen Engel unter ihrem langen Hemd auch Lange Strümpfe und Strumpfhalter? Sollen wir mal den Papst fragen, oder den Dichter?  --  Immerhin: Stefern und ich haben uns gerne, und wenn uns danach ist, küssen wir uns ein wenig. Mehr ist uns nach Umarmen, und so gehen wir oft durch Wald und Dorf, die Arme einander um Schultern und Leib gelegt, ganz eng. Und wie das in unserem Alter so ist, geloben wir uns, immer zusammen zu bleiben, eine Familie zu gründen, die heißen soll Familie Langstrumpf  ! Und ich kann´s  ja schon mal verraten; später wollen wir zusammen ein Kind haben und voller Liebe aufziehen, und so geschah es nach einigen weiteren Jahren denn auch:  eine Seele eingeladen, Willkommen geheißen vom ersten Moment an. Doch Pipi soll es nicht heißen, das wäre ein wenig zu kitschig.
Stefern jedenfalls blieb irgendwie mädchenhaft, sein Bart blieb weich, sein Körper schmal und leicht, seine Muskeln auch leicht. Meine Muskeln sind stärker. Stefern ist diese Art Mann, die ich lieben kann, schon wegen dieser Körperart, blieb ein wenig Knabe. Auch weil er so schön lächeln kann, und auch weinen, wie ich, vor Freude oder Rührung oder Liebe, meistens. 
Und dann ist mit den vielen Jahren unseres Zusammenseins noch etwas geschehen:  Unsere sexuelle Anziehung ist nie begierig, eher ein liebevolles, gemeinsames Anerkennen und Ausleben der natürlichen Bedürfnisse. Und die Freude am von Mal zu Mal länger anhaltenden Orgasmus.  Manchmal, wenn wir uns sehr nahe sind, dauert er eine Stunde, eine Stunde voller tiefster Nähe, körperlich und seelisch, ganz dicht Leib an Leib, immer wieder das Aufflackern eines wollüstigen Zitterns, ein Austausch der Energien, wie ein Austausch von Lichtstrahlen von Leib zu Leib, in großer Gemeinsamkeit, wie miteinander verwachsen. Dann sind wir nicht mehr zwei sondern Eins. Und so war es, wie wir unser Kindchen einluden:  wir beide feiern ein zartes Fest mit fruchtigen Säften und Räucherkerzen und stiller Musik. Die Seele, die kommen will, ist bei diesem Fest dabei, noch nicht körperlich doch im Wünschen der kommenden Nähe, zu Dritt. -- Und dann das Ende des Orgasmus: sich zart voneinander lösen, in tiefer Dankbarkeit einander verabschieden und in großer Seligkeit in die eigene Bettdecke wickeln und dann helle Träume . . .
Ich empfinde uns als eine Engel-Familie, und lange weiße Hemden sind unsere tägliche Kleidung, wenigstens zuhause und im Garten, dort oft barfuß.
Doch noch vor all diesen Ereignissen wandern wir durch die Schweizer Alpen, wir beide in langen Anoraks, langen Röcken und warmen Strümpfen -- in hohen, kalten Lagen zwei Paar Strümpfe über einander:  unten drunter Nylons, darüber dicke Wolle, selbst gestrickt. Doch mit warmen, unbedeckten Köpfen, keinerlei Kapuzen oder Hüte. Stefern: "in ihren dunklen Kapuzen verstecken sich manche Leute, man kann sie nicht erkennen, fast feige ! Fast wie in einer saldatischen Uniform"
Und so schliefen wir ein paar Nächte in der Herberge "Salacina", und besuchten das Museum des Malers Segantini in St. Moritz. --  An einem andern Ort trafen wir eine einsame Ziegenhirtin, Pia Solèr. Wir blieben ein paar Tage in ihrer Alphütte. Und sie freute sich über unsere Kleidung und beschloß, auch Lange Strümpfe zu tragen, so lange sie nicht barfuß ging, "ach, dann kann ich ja auch Stulpen tragen, aus meiner Schafswolle gestrickt." Pia spricht ein sehr schönes, schweizerisch eingefärbtes Deutsch obwohl das nicht ihre Muttersprache ist, sondern romansch, die vierte Schweizer Landessprache, ähnlich dem Lateinischen. Ein wenig kann ich das lesen, aus meinem Schul-Latein heraus, doch nichts verstehen oder sprechen.
Zum Abschied schenkt Pia uns ihr Buch "Die Weite fühlen, Aufzeichnungen einer Ziegenhirtin". Hier ein Portrait von ihr, wie es vorne im Buch ist:

  Und dann treffen wir noch eine Familie, ebenfalls ganz einsam in einem abgelegenen Bauernhaus: Mutter, die drei Kinder, sogar der Vater in Langen Strümpfen, da sind wir uns ganz nahe gekommen, allein wegen dieser Sitte.
So war das mit meiner Marotte, die vielleicht einen weit ausgedehnte Mode werden wird, hoffe ich, und grüße Euch, die Aneta.



#



Samstag, 4. April 2015

Lauenstein bei Förster Weck 1948





Vierzehntens - Stefan´s Liebe in Lauenstein und seine Langen Strümpfe

Diese meist erfundene und erwünschte Geschichte schließt an an die Geschichte „Friedas Liebe, Neuntens meine Liebe zu mir und zum Fohlenknaben" (über Renée Sintenis´ kleine Bronze-Figur, der Fohlenknabe): http://friedas-liebe.blogspot.de/2011/04/neuntens-meine-liebe-zu-mir-und-zum.html . Ich bin August Weck und seiner Frau Emelie dankbar für ihre Gastfreundschaft im Sommer und Herbst 1948.
Vielleicht erinnert ihr euch, wie ich in den Sommerferien 1948, mit 15 Jahren, das Förster-Ehepaar August und Emelie Weck in Lauenstein besuchte, und bei ihnen zwei Wochen Ferien machte. Die beiden waren seit langem Freunde meiner Eltern. Die viertel-stündige Bahnfahrt von Hameln war die erste, die ich für mich selbst organisiert hatte, und die dicke, schwarze Lokomotive mit ihrem Lärm, Rauch und Dampf beeindruckte mich sehr. Am Haltepunkt Voldagsen stieg ich aus und ging durch die Felder zum Dorf, stiefelte an den hinteren Dorf-Rand, wo das Forsthaus steht.
 BILD 01

Beiliegende Zeichnungen sollen mich mit 15 darstellen — doch ich sah um einige Jahre jünger aus — meine Zeichenkunst ist eben — keine Kunst.

Noch zur weiteren Erinnerung an meinen ersten Bericht aus Lauenstein (seht oben): jeden Tag lief ich in den Wäldern des Ith-Berges umher, und das eine und andere Mal zog ich mich ganz nackich aus und lief nur mit einem Cape bedeckt — eben nackich — durch die Büsche. Damals gingen nicht viele Spaziergänger durch die Wälder, und falls mir jemand begegnet wäre, hätte ich mich vielleicht in mein grünes Jäger-Cape gehüllt — oder auch nicht. Außerdem hatte ich wenig Scham, nackt gesehen zu werden, immerhin war ich mit 15 noch ein Kind. Und in unserer Familie war es etwas Ehrenvolles, ein Kind zu sein. Das Wort „Kind“ ist meinen Eltern heilig.
Und das Ganze — ich meine, nackt umher zu laufen — hat mir viel Freude gemacht, so ganz ohne kleidliche Einschränkungen. Diese Leichtigkeit!
Die Wecks hatten zwei Kinder, doch nun erwachsen und längst aus dem Haus, der jüngere Heinz (nenne ich ihn mal, habe den Namen vergessen) war Anfang 20 und beim Bundesgrenzschutz. Else war Mitte 20 und Apothekerin in Sulingen.
Ich hatte Weniges in meinem Köfferchen mit, weil Emelie meiner Mutter gesagt hatte, daß sie noch Vieles von ihren Kindern hätte. Nachts schlief ich im Zimmerchen von Heinz. Emelie öffnete eine Kommode und zeigte mir, was ich da nehmen könnte. Mich begeisterte sofort eine kurze Lederhose. Ich hatte nie eine „echte Lederne“ besessen, in unserer Familie kleidete man sich etwas eleganter ... .
BILD 02: Lederhose um 1950, aus dem Internet,
Wunschtraum meiner Kindheit,
so war die Lederne, die ich von Heinz erbte.
In meinem Elternhaus kleideten wir uns nur in feine Stoffe. Ich nahm das schöne Stück und zog es schnell an, krempelte wie es alle taten die Hosenbeine einmal um und war glücklich. Da gab es keine Hosenträger sondern einen Gürtel —  ich fühlte mich richtig zünftig. Und ein grünes Hemd nahm ich, grün wie die Wälder, auch zünftig.

BILD 03: Stefan in Lederhose und Langen Strümpfen
Doch dann ging Emelie mit mir in Elses Zimmer und zeigte mir, was ich dort aus dem Schrank nehmen könnte. Da war es noch schöner als die Lederhose. Im Schrank hingen ein paar Kleider und Röcke, und einen Rock wollte ich schon von Klein an gerne anziehen. Doch noch traute ich mich nicht, das zu äußern.
Erst nahm ich mir ein bunt kariertes Kleid vom Bügel und liebkoste es, bis Emelie sagte, „zieh es doch mal an, und behalte es an zum Abendbrot. Und hier ist auch noch ein Unterrock, das gehört dazu.“ August war erstaunt über meinen neuen Kleidungsstil. Das Kleid behielt ich den ganzen Abend an. Ich muß glücklich gestrahlt haben. Doch das Kleid war mir um die Brust zu weit, und zum nächsten Tag entschloß ich mich, lieber Röcke zu tragen — mit dem grünen Hemd. Röcke kamen mir etwas männlicher vor. Vorerst nur im Haus. Draußen die gewohnten kurzen Hosen, na ja, vor allem die Lederhose.
Emelie gab mir noch einen von Elses blaßgrünen Schlüpfern, aber die mochte ich nicht, ich behielt lieber meine leichten Knaben-Schlüpfer an — oder gar nichts drunter, in der Ledernen.
Meistens lief ich ja durch die Ith-Wälder, beobachtete Tiere, und ließ mir von August das Försterliche erklären. Nach ein paar Tagen öffnete Emelie mir eine Kommode mit Elses Sachen. Da liegen nun Elses Strümpfe und Unterwäsche. Bewundernd nahm ich ein Paar lange, beige Strümpfe heraus, „das ist feinste Baumwolle,“ sagte Emelie. "Allerdings hat sie sie mal gekürzt, sie wollte sie nicht ganz lang." Ich würde sie gerne mal anziehen. Denn seit ich mit zehn Jahren mal für ein paar Tage Lange Strümpfe angehabt hatte — aber dann nie mehr —, begeistert mich diese Kleidung immer wieder. Und ich beneide die anderen Kinder, wenn sie welche anhaben. Doch meine Mutter gab mir nie wieder welche — trotz meiner Bitten.
Diese Strümpfe sind mir nicht zu kurz  — Else hatte wohl kürzere Beine oder ihr Kleid war lang genug. Doch seht das BILD 09.

BILD 04: Else´s beige Strümpfe, oben verkürzt
 Nun aber kommt DIESE Gelegenheit. Emelie zeigte mir eines nachmittags noch etwas, das ich nicht erkannte, ein Kleidungsstück mit vier Strumpfhaltern dran. Emelie hielt das Stück hoch, und ich war vollständig hingerissen ohne zu wissen, was das war. Sie sagte, es ist ein Strumpfhalter-Gürtel, gehört auch Else, hat jedes Mädchen. Nun sah ich, auch meine Schwestern tragen solche Dinge, nur hatte ich bisher nicht darauf geachtet.

BILD 05: Else´s schönster Strumpfhalter-Gürtel und Büstenhalter, 
von Emelie gehäkelt.
Diese Fotos machte mein Vater als er uns mal besuchte
Emelie passte den Gürtel für meine Hüftweite an, mit kleinen Häkchen, passte ihn eben unter den Nabel an. Und die Strumpfhalter hängen erstmal runter. Dazu zog ich mich ganz aus. Zu erwähnen habe ich, daß wir zuhause viel nackich rum laufen und keine Scheu oder Scham voreinander haben. Und so war es für mich auch hier einfach. Emelie sagte, „du mußt die Strumpfhalter immer zu unterst tragen, wegen dem Klo. Und den Schlüpfer und alles andere drüber.“
Und zeigte mir, wie ich die Strümpfe daran befestigen könnte, mit den Drahtösen, nach denen ich mich schon lange gesehnt hatte, Mädchen und Frauen haben es ja so. Mit zehn damals hatte ich das anders: an jeden Strumpf waren zwei weiße Knöpfe genäht, und am Leibchen hingen zwei Lochgummis als Strumpfhalter.

BILD 06: Lange Kinderstrümpfe mit Knöpfen und Lochgummiband,
wie in den 30er und 40er Jahren von Kindern bis 10 getragen –
alte Zeichnung mit Stück Lochgummiband

Nun habe ich also mal wieder lange Strümpfe an, nach so vielen Jahren, richtig zünftig mit echten Strumpfhaltern. Und dazu diese jungenhafte Lederne. Passt das zusammen?
Ich war so glücklich. Zog die Lederne drüber und suchte einen großen Spiegel, um mich zu betrachten. Später ging ich etwas verlegen ins Dorf und suchte nach Bekanntschaften mit anderen Kindern. Wollte sehen, wie das wirkte. Die Jungen sahen etwas verlegen wo anders hin. Die Mädchen bewunderten mich und lobten meinen Kleidungsstil, die feinen Strümpfe. Und fragten, wie ich sie aufgehängt hätte. Ich zeigt das Ende der Strumpfhalter, und sie waren zufrieden.

BILD 07: Lange Fein-Strümpfe mit Drahtöse,
das ist die perfekte Art
Doch das war nur an einem Abend, denn es war warmer Sommer, nackte Beine waren passender. Ich zog die Strümpfe an diesen Wochen nie wieder an. Es war mir nun klar, daß ich zu den Herbstferien wieder zu den Wecks reisen würde. Und daß ich dann die Kleidung ihrer Kinder die ganze Zeit anziehen würde. Und so kam es.
Herbstferien: Ins Dorf ging ich am ersten Abend in Elses knielangem Kleid und in den beigen Langen Strümpfen. Es war nicht klar, ob ich für ein Mädchen oder einen Jungen gehalten würde. Nur meine Haarfrisur mochte jungenartig wirken, doch diese Kleidung — ja und meine Stimme — mochten mädchenartig sein. Das genoß ich sehr. Einmal ein Mädchen sein, das war eine große Sache. Ich mag Mädchen und tue es ihnen gerne gleich — so weit es geht.
Ich konnte etwas zeichnen, und so warf ein paar Skizzen von mir auf´s Papier, die ich euch hier zeige. Ich zeichnete eine Grundzeichnung und radierte immer wieder die Kleidung aus und zeichnete Neues, wie Anzieh-Puppen.  Und mein Vater besuchte mich mal und machte Fotos von Elses Strümpfen und Haltergürtel.

BILD 08: Stefan in Lederhose und Langen Strümpfen,
halb runter gerollt
Und so, im Rock und in Langen Strümpfen ging ich während der Herbstferien in den Wald, kletterte auf den Ith-Berg, kletterte auf die Felsen da oben und sah im Land umher, sah meine Heimatstadt Hameln von weitem und die Bussarde über mir kreisen. Der Wind wehte meine Röcke umher und blies mir von unten an den Leib — und das war mal wieder mein Hochgenuß. Es kamen ein paar Spaziergänger und sahen mich von unten an wie ich auf dem Felsturm stand. Eine Frau rief hoch, „Mädchen halte mal deinen Rock zusammen, man kann ja alles sehen.“ Doch das konnten sie meinetwegen sehen, und ich kümmerte mich nicht um die Rufe.
Meistens wenn ich ins Dorf ging, hatte ich die Ledernen an, und weil es Herbst war, lange Strümpfe und an den Füßen Wollsocken. An manchen warmen Tagen rollte ich die Langen etwas runter, so daß die Knie noch geschützt waren, aber der Wind an meine Oberschenkel blies. In jenen Jahren war es üblich, daß kein Junge ab 14 mehr Lange Strümpfe trug, das war eine Art Mode. Doch mich kümmerte das nicht, ich mochte die Strümpfe und entschied mich hier für meinen Geschmack. Machmal wurde ich von den Dorfkindern deswegen geneckt, doch eher wurde das anerkannt, besonders von Mädchen und Frauen, und nach den Ferien auch von zwei meiner Lehrerinnen, die mir ihre Strümpfe auch zeigten, ich meine hoch bis zu den Strumpfhaltern. Es war etwas so normales!

BILD 09: Stefan in Lederhose und Langen Strümpfen

Einmal bekam ich eine eigenartige Lehre. Ein älterer Mann im vornehmen Anzug kam zu August und wollte etwas über Försterei erfahren, wollte wohl ein Stück Wald kaufen. Hier gehört manches Privatleuten, und man kann kaufen. Wir saßen beim Kaffee, und ich hörte gespannt zu, was August berichtete.
Da wandte sich Herr Rottsmann, so hieß der Fremde, an mich und sagte etwas von oben herab, „mein Junge, wenn du mal erwachsen werden willst, ein richtiger Mann werden willst, mußt du nicht mehr so Kindersachen anziehen.“ Ich fragte, „wieso?“ Er deutete auf meine Beine, „na solche langen Strümpfe und so ein Mini-Höschen.“
Ich wurde wohl etwas verlegen und sah August an, der schmunzelte und wartete, was ich wohl sagen würde. Herr Rottsmann weiter: „und jemand hat dich nackend im Wald rum laufen gesehen, das ist doch Kinderkram!“
Da wurde ich widerspenstig: „ich will doch gar kein Mann werden. Ich will sein und bleiben, der ich bin, ein 15-jähriger Junge, sonst nichts, so nackig wie die Natur mich geschaffen hat Und da ziehe ich an, was ich will. Kinder sind ja wohl was anderes als alte Männer, die Wälder kaufen wollen. Außerdem: ich bin nicht Ihr Junge!“
Emelie informierte den Fremden, „meine Kinder haben auch Lange Strümpfe getragen, mein Sohn heute mit 21, glaube ich, immer noch. Meine Tochter sowieso. Und wir haben gefunden, daß die Langen Strümpfe helfen, in sich zu ruhen, Selbstsicherheit zu haben, wie man sagt: geerdet zu sein. Das ist doch für Kinder wichtig, oder?“
Ich sah Herrn Rottsmann an und sagte, „ist es schwierig für Sie, nackte Kinder im Wald zu sehen? Da können Sie sich ja schon mal dran gewöhnen, ich klappe mal meinen Hosenlatz auf — habe auch keinen Schlüpfer drunter,“ und griff schon mal an die Knöpfe des ledernen Latzes.
„Nein,“ sagte er, „— Frau Weck, Sie müssen mal mehr auf den Jungen aufpassen.“
Emelie sagte, „der Junge ist froh, nicht immer in der feinen Stadtfamilie leben zu müssen, deswegen macht er hier bei uns Urlaub.“ Als ich „fein“ hörte, grinste ich.
Der Mann knurrte verächtlich und verschwand bald. Seinen Kaffee hatte er nicht ausgetrunken. Und August lachte.
Wenn August auf die Jagd ging, blieb ich weg. Das mag ich nicht, wenn einer Tiere tot schießt. Doch beobachten tue ich sie gerne. Im Herbst röhren die Hirsche, und dann ist an manchen Stellen richtiger Lärm. August ging ein paar Mal mit mir an einen Ort, von wo man genau unterscheiden kann, welcher Hirsch aus welcher Richtung röhrt.
An einem solchen Platz saßen mal ein paar Kinder aus dem Dorf, ganz still, und horchten. Wir setzten uns dazu, kein Wort, kein Rascheln. Als das Röhren vorüber war, fragte mich ein größerer Junge, ob wir beide noch zusammen an einen anderen Ort gehen wollen. „Da ist eine Hütte, da können wir über Nacht bleiben, ich habe Decken hin gelegt.“ Den Jungen kannte ich schon, er ist mir angenehm, und ich sagte zu. Er heißt Ernst. Ich war erstaunt, er hatte zu seiner alten Lederhose auch wieder Lange Strümpfe angezogen, wie ich.
Wir gingen still gewiß eine halbe Stunde durch den Wald, den Berg aufwärts. Es war ziemlich dunkel, und wir hielten uns an den Händen. Das war schön, miteinander an den Händen leitend. Doch später erschien der Mond, und ich rannte nicht mehr an Baumstämme. In der Ferne hörten wir immer noch einzelne Hirsche. Ernst bleibt stehen und lehnt mich rücklings an einen Baum, eine glatte Buche, spüre ich. Dicht legt er seinen Körper an meinen, vorne an vorne. Mit den Händen berührt er mein Gesicht, die Wangen, ganz leicht die Augenlider. „Deine Haut ist so weich — meine auch?“
Mit seinen Lippen kommt er an meine, öffnet seinen Mund und streicht mit seiner Zungenspitze über meine Lippen und dazwischen in meinen Mund. Das ist so schön, ich weiß kein anderes Wort. Dann streicht Ernst mit einer Hand an meinem Körper entlang und berührt meinen Schenkel, am Rand des Strumpfes. Und geht mit zwei Fingern von unten in das weite, lederne Hosenbein — und sucht . . .  und findet meinen Puller und die Hoden — die er nun streichelt. Ich habe ja keinen Schlüpfer drunter.
Auf dem Kamm des Ith, im hohen Wald, stehen einige dunkle Felsen, turmartig, und zwischen zweien ist die Hütte. Von der einen Seite sieht man in Richtung Hameln — das Leuchten der Stadt —, von der anderen in Richtung Hildesheim, doch dort ist es dunkel.
„Hier ist sie.“ Sehr versteckt, und nur wer es weiß, kann sie so im Dunkeln finden. Ernst öffnet eine niedrige Tür und kriecht rein. Bald hat er eine Kerze angezündet und ich folge. Hier ist es warm und gemütlich, an der einen Seíte ein paar Decken aufgehäuft. Die Kerze steht auf einem Stein — wie ein Tisch. Wir legen uns auf die Decken, und ich bin nahe dem Einschlafen. Nun erst sagt Ernst etwas, „komm, wir kuscheln uns zusammen und wickeln uns in die Decken.“ Doch erst ziehe ich mir die Lederhose aus, sie ist mir zu dick und steif. Ernst tastet meinen Körper ab und findet den Strumpfhaltergürtel. „Da hast du ja was Besonderes an für deine Strümpfe, was ist das?“ Ich erkläre das gute Stück, und merke, daß er ein wenig neidisch ist. „Meine Strumpfhalter hängen an einem Leibchen, hier fühl mal. Ganz einfach, nicht so mädchenhaft.“
Er flüstert, „für diese Nacht habe ich extra wieder diese Sachen angezogen, ich merke doch, daß du das so liebst, oder? Und ich trage das auch gerne.“
Wir sind dankbar, daß unsere Mütter uns mit dem Gedanken der Langen Strümpfe vertraut gemacht haben — „eigentlich so wie die Frauen es haben, und die Mädchen.“ Dann fällt mir ein, daß meine Mutter eher dagegen war: „Es war aber des Försters Frau, Emelie, die mir Else´s alte Sachen gegeben hat, die mir die Tür zu meiner Freude geöffnet hat,“ flüstere ich dankbar.
„Darf ich dich mal streicheln? Deswegen habe ich dich eingeladen, damit wir einander mal streicheln . . . und du mich.“ — Das ist schön, obwohl ich noch scheu bin. Er hat inzwischen auch seine Lederhose ausgezogen. Und ich fühle seinen weichen Bauch. Wie ich hat er keinen Schlüpfer an. Nur seine langen Strumpfhalter-Gummis fühle ich. Ganz dicht liegen wir zusammen und schlingen unsere Arme um einander. Es ist so gemütlich, daß ich wirklich erstmal etwas einschlafe.
Bald bin ich wieder wach, durch einen Schlitz im Dach sehe ich den Mond noch an derselben Stelle — wie vorhin. Ernst sitzt neben mir und streichelt meinen Bauch, und dann knöpft er meine Strümpfe ab und streift sie runter. Streicht über meine nackten Schenkel. Zieht meinen Strumpfgürtel runter und hat nun meinen ganzen Unterleib frei — nein, ich habe ihn frei. Frei für Ernst´s Hände. So etwas habe ich schon manchmal in Gedanken geträumt, doch das es wirklich möglich ist . . .
Ich fühle seine liebkosenden Hände an den Innenseiten der Schenkel. Da wird mein Unterkörper ganz wild und zittert, vor Wollust unter Ernst´s Hingabe. Das ist alles sehr unbekannt, ich bewundere die Lebenskunst von Ernst, die Liebes-Kunst. Ja, das ist Liebe zwischen uns. Er umfässt meinen steif gewordenen Puller und bewegt ihn hin und her, und nimmt meine Hoden in die geschlossene Faust und drückt sie ein wenig, und streichelt die Haut zwischen den Beinen. Mir wird immer wohler, und ich habe viel Lust, mich ganz hinzugeben. Meine Schenkel gehen auseinander, mein Unterkörper biegt sich ihm entgegen und zittert. Lange Zeit genußvolle Stille, genußvolles Atmen.
„Ich glaube, du hast nicht einmal Haare da unten — bist du noch ein Kind?“ „Ja, ich bin ein Kind,“ sage ich. „Und schon 15?“ — „ja, 15 und bald schon 16, ein paar sind mir aber schon gewachsen“, sage ich, „aber ich mag das nicht“. Im Kerzenschein sehe ich, daß er immerhin schon ein paar Haarbüschel hat, und ich habe Ehrfurcht davor. Ernst bittet mich, mit ihm zu summen, und wir merken, wie hoch unsere Stimmen sind — „eben, ganz Kinderstimmen,“ sagt er, „Sopran, meine ich.“ „Ja, das finde ich gut, ich will nie ein Mann werden,“ wünsche ich mir. „Was dann?“  „So bleiben wie ich bin, ein großes Kind, mit dem Können und Wissen der Erwachsenen, aber nicht mit all dem Mann- oder Frau-Getue.“ „Dann kannst du ja in der Oper Sopran singen, wie früher die Eunuchen.“  „Ach, ich will mir da nicht solche Gedanken machen, will das leben, was jetzt gerade ist — wozu sonst habe ich Ferien? — wozu sonst liegen wir beide hier gerade zusammen? Doch schön könnte das sein, Sopran bleiben.“
„— und immer Lange Strümpfe anhaben, und einen süßen Strumpfgürtel, oder?“ er lächelt, glaube ich, und ich nicke. Mir fällt ein, daß hier in dieser Hütte meine hellen Strümpfe schmutzig werden könnten, doch das will ich morgen regeln. Das ist schon in Ordnung, 15-jährige Knaben im Wald haben immer mal schmutzige Beine — das bringen die Erlebnisse mit sich. Ganz nackt sind wir nun, nur die Strümpfe ringeln sich zusammen gekringelt um unsere Unterschenkel, sonst nackt. Und Ernst legt sich Bauch an Bauch auf mich. Wir kommen einander sehr nahe, mir ist, also ob unsere Körper verschmelzen. Als ob lebendige Strahlen zwischen uns hin und her strahlen, alles in eins lebendig, ohne trennende Haut dazwischen.
Wir strecken unsere Arme und Beine in aller Richtungen, das ist ganze Offenheit. Mir ist als ob Ernst´s Körper in meinem versinkt. Ich biege meinen Kopf ganz zurück, tief in die weichen Decken, leise, helle Töne machen wir, und in unseren Körpern ist ein wohliges, leichtes Zittern, Vibrieren sagt man wohl.
Später denke ich daran, daß wir ebenso wie Mädchen waren, Knaben wie Mädchen — das hat die Natur uns mit gegeben. Ich denke, so bin ich richtig, so bin ich ich. So etwas hatte ich noch nie mit einem Mädchen erlebt, aber es muß so sein. Mädchen sind ja kaum anders als Knaben, vermute ich — außer daß sie Zöpfe tragen und immer Kleider anhaben.
Wir schlafen lange, in einander verschlungen mit unseren Armen und Beinen. In der Morgendämmerung stehen wir auf und gehen nach draußen, fast nackt, nur unsere Strümpfe ringeln sich noch immer um unsere Füße. In der Ferne ist Nebel über dem Wesertal, Hameln verbirgt sich im Nebel, ich denke, Hameln will uns nicht sehen, will sich an unserer knabenhaften Freiheit nicht beteiligen.
Ernst hat in einem Beutel etwas Butterbrot und eine Thermoskanne mit lauwarmer Milch mit gebracht. Wir sitzen nackt über dem Tal, unten das Dorf Bisperode.
Diese Art, Knabe oder Mädchen zu sein, ist so wunderschön. Mir tun alle Kinder leid, die so etwas wie diese Nacht nicht erleben können. Die Begegnung Körper zu Körper, Mensch zu Mensch, Junge zu Junge — in stillen Momenten kommt mir auch dieser Gedanke: SO EINE Begegnung von Seele zu Seele. Ein weiteres Erlebnis für mich ist es, in Else´s Röckchen im Wald umher zu streifen. Das habe ich ein paar Mal in den Herbstferien gemacht. Der Rock reicht fast bis zu den Knien, und der Unterrock ebenfalls. Ohne Unterrock könnte ich so was offenes nicht haben, wäre mir dann doch zu nackt. Wäre nackter als ganz nackt — so ist mein Gefühl. Ohne Schlüpfer wäre schon recht, und zum Pullern hocke ich mich einfach hin — wie die Mädchen auch.
Ich merke, im Rock fühle ich mich freier als in Hosen, selbst die normalen kurzen Hosen engen mich ein — außer der Ledernen von Heinz, die ist fast so offen wie ein kurzer Rock.
Ich genieße diese offene Kleidung — fast so wie das Nacktsein im Wald. Und ich genieße es, in Mädchenkleidung dem Mädchen-Sein nahe zu sein, ein wenig Mädchen zu sein. Was Mädchen in Röcken so fühlen, würde ich gerne wissen, doch ich traue mich nicht zu fragen. Ich glaube, sie könnten mir´s nicht sagen, weil sie die Röcke von klein auf gewohnt sind.
Ein paar Tage nach der Nacht mit Ernst im Wald packt Emelie mir einen Koffer, mit all den Sachen, die ich von ihren Kindern übernehmen darf, mitnehmen darf. Mehrere Paare warmer Strümpfe, meistens in braun, erdfarben, drei süße Strumpfgürtel, die kindliche Lederhose, und noch eine, etwas größere.
Mit dem Zug fahre ich wieder nach Hameln, wandere mit dem schweren Koffer die Kaiser-Straße entlang und wieder über die Weserbrücke zum Haus meiner Eltern. Das nun ein Stück weniger mein Haus ist.
Während dieses halbstündigen Weges hatte ich nur Gedanken an die Wochen am Ith, ich wünschte mir nicht nur, immer Lange Strümpfe an zu haben — ich hatte sie ja an — sondern lieber noch eines von Else´s Röckchen. Die Nacht mit Ernst war das Schönste, das zweite aber das Wandern im Rock durch die Ith-Wälder. Jetzt auf der Kaiser-Straße hätte ich mich aber nicht getraut. Ich könnte mich ja in eine Ecke stellen und umziehen — doch wirklich, ich traute mich nicht, obwohl es zwischen den Schenkeln ziemlich kitzelte und ich Sehnsucht hatte.
Zwei Tage später wieder die Schule. Gespannt gehe ich hin, in kurzen Hosen und Langen Strümpfen, ungewohnt für fast alle. Nur einer, der Erwin Lauterbach trägt Sonntags noch welche, zwar ganz aus der Mode, doch ich mag das. Ich spreche ihn an — er ist in meiner Klasse — und er meint, das sei alte Familientradition, und er trägt gerne diese Strümpfe. Und nun ich von Neuem. Erst sagt niemand etwas, doch dann werde ich von den anderen Schülern angesprochen, und es kommt zu manchen Gesprächen über die Strümpfe — einschließlich der Strumpfhalter. In der Nähe unserer Ith-Hütte wohnt aus der Parallelklasse in einem Gut das Zwillingspaar von Oertzen, die beiden tragen gewöhnlich, alltäglich ihre braunen Langen — sonst niemand. Schade, wo die doch so schön sind. Na, und ich eben.
Was das ist, diese Abwehr der Langen, diese Scheu oder gar Scham, habe ich nie erfahren, trotz vieler Fragen an andere.
Einige Monate nach den Herbstferien in Lauenstein habe ich meinen Eltern von diesen Genüssen und Gedanken erzählt, und da hörte ich, daß die Menschheit langsam in ein Zeitalter hinein wandert, wo Frau und Mann — beziehungsweise Mädchen und Junge — einander immer näher kommen. Ein Professor Gebser hat das so genannt: das „Zeitalter des Integrats“. „Die Unterschiede, so wie die Natur sie mal geschaffen hat, bleiben. Doch die Wertung verschwindet, Frau und Mann werden gleich gewertet, gleich geschätzt,“ höre ich. „Andererseits,“ sagt Vater, „ziehen Frauen immer seltener richtige, frauliche Röcke an, immer häufiger enge, sehr männliche Hosen. Sie werden männlicher, aber auch verkopfter. Ob das wohl auch eine Folge des Integrats ist? Und DU ziehst frauliche Röcke an. Und frauliche Strümpfe — noch was? Wahrscheinlich bist du fraulicher in deinem Kopf — fraulicher als die Gesellschaft das will — da freue ich mich wirklich. Fraulicher nicht nur in deinem Kopf sondern auch zwischen den Beinen.“ Diese direkten Worte machen mich verlegen, ich muß sie erstmal verdauen.
In einem Seminar in der Schule (eine reine Jungens-Schule) versuche ich diese Gedanken klar zu machen — habe mich dabei gekleidet wie ein Mädchen in Langen Strümpfen und Rock, und ziehe ihn manchmal hoch —, aber die meisten meiner Mitschüler können das kaum verstehen, „nur theoretisch,“ sagen sie. „Aber praktisch? Wie soll das denn gehen?“ werde ich gefragt. Der Lehrer meint zur Klasse, „das kann man nicht andauernd diskutieren, lasst es geschehen und erfühlt es. Erlebt den Stefan auf seinem etwas anderen Weg.“
Dann erzähle ich ein wenig von meinen Ferien. Am nächsten Tag kommt ein Junge, der Sohn eines Pastors ist, und sagt, „was du da getan hast, ist schon fast Gotteslästerung. Mein Vater hat gesagt, schon in der Bibel heißt es, daß Frau dem Mann untertan sein soll, und daran ist nichts zu ändern. Also kann es kein Integrat geben. Es kann es also nicht geben, daß ein Junge Mädchensachen trägt.“ Ich merke, wie hier „Welten aufeinander prallen,“ wie meine Mutter abends sagt. Mein Vater spricht vom Fortschritt der menschlichen Kultur, den ich da lebe, „aber das ist schwer, weil unsere europäische Kultur so steif und unbeweglich ist. Oder soll ich sagen, unsere christliche Kultur?“
Er war vor langen Jahren viel im Ausland, Asien und Afrika. Er fand, „mindestens ein Drittel der Männer auf der Erde trägt Röcke, auch in christlichen Gegenden wie Südindien.“ Wie ich das dem Pastorensohn erzähle, meint er, „das glaube ich nicht, Gott hat doch die Röcke den Frauen vorbehalten. Für Männer sind ja die Hosen da.“
Zuhause gestehe ich, daß die Langen Strümpfe seit vielen Jahren mein großer Wunschtraum sind. Und ich berichte, daß ich mich so gut darin fühle, ich will sie nie wieder aufgeben. Meiner Mutter tut es leid, daß sie nie auf meine Sehnsüchte eingegangen ist, doch nun will sie das fördern.
„Wenn es auch kein Weg zum Mann ist, vielleicht. Aber es IST ein Weg, dein eindrucksvoller Weg,“ sagt mein Vater. „Solche Leute wie du werden nicht wieder solche schrecklichen Kriege anfangen und begehen wie meine Generation — und werden sich nicht wieder so schuldig machen. Anerkennung, mein Sohn, daß du diesen neuen, weichen, liebevollen Weg beschreitest.“

BILD 10: Stefan´s Schulkleidung Herbst 1948
(ein fingiertes Foto)
In späteren Jahren besuche ich dieses mir so wichtige Dorf Lauenstein immer wieder, besonders den Ernst und die Förstersleute — und den Wald und die Felsen und Hirsche. Ernst und ich küssen uns wieder, aber so wie in der Hütte wurde es nicht. Er war zum Mann geworden, ich aber — trotz Bart und tiefer Stimme — bin innerlich ein Knabe geblieben, sonst hätte ich dieses nicht schreiben können.
Jahre später traf ich in Mecklenburg den pensionierten Revierförster Ernst Amelung, der nach August die Försterei in Lauenstein verwaltete. Er ist nicht identisch mit dem Ernst in dieser Geschichte.